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termine

 

mi 18.10.23 19:00 zanklhof graz

lesung mit den literaturstipendiaten der stadt graz! (mit günter eichberger, max höfler, daniela kocmut, martin ohrt)


 

Bitte unterstützt diese großartigen Odessiten, zum Beispiel hier.

Ja, was nur? – es ist inzwischen viel passiert, auch was jene betrifft, die ihr auf dieser Seite schon kennengelernt habt. Yegor ist inzwischen in der Armee und jeden Tag schaue ich auf die Live-Karte (https://liveuamap.com) und frage mich, wo er sich wohl gerade befindet. Ich frage nicht nach, er dürfte es mir ja ohnehin nicht sagen. Er sieht auf den letzten Fotos müde aus.

Витя Бревис sucht Menschen, denen er deutsch beibringen kann, die meisten seiner Schüler haben die Stadt verlassen und gerade andere Sorgen, vielleicht interessiert sich jemand für ein wenig Nachhilfe, der im deutschsprachigen Raum in einem der überfüllten Sprachkurse sitzt?

Светлана Филозофенко versorgt nach wie vor die Pelzbeutelchen der Stadt und der humanitäre Stab gönnt sich keine Pausen.

Bei Дмитрий Милютин wird immer noch Zeug aus dem Nichts herangeschafft, genäht und umverteilt, damit die Verteidiger ein wenig sicherer sein könnten.

Iryna Fingerova und die plattform Dresden e.V. haben Laster mit medizinischen Materialien für Katherina Nozhevnikova und die Korporatsia Monstrov http://monstrov.org/stop-war-in-ukraine/ zusammengestellt.

Die Odessiten stehen zusammen und mir ist schwer ums Herz, wollte ich doch meine ersten Erdbeeren dieses Jahr wieder am odessitischen Strand essen: immer noch wache ich jeden Tag auf und hoffe, dass es nur ein schlimmer Traum gewesen sei, solange, bis ich die Karte mit dem Kriegsgeschehen öffne und fürchte, dass wir alle alt werden vor Sorge oder überhaupt kein Alter mehr erreichen.

Ich habe kein anderes Thema mehr und manchmal kommt es mir vor, als wünschten Leute, die sich mit mir unterhalten, dass es jetzt doch mal genug sei. Genug ist es schon lang, viel zu viel haben wir an Krieg. Viele meinen, sie hätten ja schon gespendet. Leider sinkt der Bedarf an teuren medizinschen Materialien nicht, ebenso wenig wie der Bedarf an Textilien, Hygieneprodukten oder Eisenwaren – nur die Hilfe geht zurück.

Ich hatte hier in Deutschland noch keine einzige bezahlte Veranstaltung, wer also etwas weiß, wo ich lesen kann oder Workshops zu Literatur oder Fake News gegen Geld anbieten, das dann direkt dorthin gehen wird, bitte gebt Bescheid.

Wer nichts verschenken will kann auch auf Produkte von Ukrainern online bestellen, es gibt hunderte Seiten, die ins Ausland verschicken: Honig, Keramik, bestickte Blusen, Designerschmuck, werft Google an und kauft euch, was das Herz begehrt, anstatt in China zu bestellen.

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Ich war letzte Woche auf dem Friedhof und habe Bertha von Suttner besucht. Am liebsten wäre ich niedergesunken, ob des Versagens in Sachen Frieden, dass wir aktuell verzeichnen müssen, habe dann aber doch ein Selfie gemacht, einfach weil ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte. Odessa gehört zu den neuen Kriegszielen und als ich gehört habe, dass ein Wohnhaus im Bezirk Tairova getroffen wurde, war eigentlich schon klar, wer gestorben ist: Tairova ist ein wenig weiter vom Zentrum entfernt hat aber gerade jungen Familien viel zu bieten, wer Kinder will zieht nach Tairova. Ich aktualisiere die Livekarte der Geschehnisse nun also noch öfter. Inzwischen haben die Monsters Corporation und der Humanitäre Stab von „Odessa kak ona yest“ Unmengen an medizinischen Material aufgestellt, Wasser nach Mykolayiv geschickt, weil dort die Versorgung zusammengebrochen war und in den Werkstätten des Stabs und von Dmytro Myliutin wird ohne Unterlass an Schlafsäcken und kugelsicheren Westen genäht. Inzwischen lasse ich bei Servus-Tv mein Gesicht airbrushen und wundere mich, dass man jemanden, der die Kapitulation der Ukraine fordert noch Putin-Versteher nennt – würden sie Putin verstehen, würden sie wissen, dass damit das Morden kein Ende hätte. In der Ukraine will niemand unter russischem Regime leben, das ist nämlich für einen Großteil von Russen im eigenen Land schon chuyovo, so, dass man sich die Besatzung gar nicht vorstellen will. Solle man doch Russland erzählen, keine schweren Waffen zu nutzen, anstatt den Überfallenen. Doch so wie der Krieg die schlimmsten Seiten an manchen hervorkehrt, so kehrt er auch in vielen die besten hervor: Petra Hillinger hat eine unglaubliche Summe für die Tiere Odessas auf die Beine stellen können, sie müssen nicht verhungern, auch wenn sie nicht mehr wie früher am Privoz von Marktstand zu Marktstand flanieren können. Da beiße ich mir wieder auf die Zunge, wenn ich an Mariupol denke: kein Flanieren, der Hungertod ist das Schicksal, dass das russische Imperium ihnen zugedacht hat. Zählt Hunger zu den schweren Waffen?

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In Lviv sollen letzte Nacht vier Raketen gefallen sein und das sind die, die es nicht getroffen hat, denn sie sind bei mir: Keti, Svetlana und Phoebie, die sich in der fremden Umgebung gerne unter die vertraute Enge von Bettdecken flüchtet. Dem gingen Wochen des Nicht-zur-Ruhe-kommens voran, des Alle-zwei-Tage-umziehen müssens, da viele Menschen in Polen gerade auf der Durchreise sind. Allzu viele Freunde wagen die Reise nicht – weil sie ihre Männer zurück lassen müssten, weil sie Angst haben, vor dem Ungewissen, davor alleine vor dem Nichts zu stehen. Manche kehren sogar zurück, gerade jetzt zum Beispiel nach Odessa, da man sich nachdem das Kriegsschiff nachuj ging dem trügerischen Gefühl einer Sicherheit hingeben kann. In Frankreich sagt man, wird es still an einem Tisch, dass ein Engel vorbei geht, in Odessa hat man mir gesagt: Nicht ein Engel, ein Polizist. Bei uns – ach, wir reden und blubbern, über alles, Gott und die Welt und auferstanden soll er auch noch sein, das Städtchen Gotha und Haustiere – wird es still am Tisch, wenn der Krieg durch die Köpfe schleicht. Zuletzt haben wir festgestellt, dass wir die gleiche Medizin gegen diese Stille nehmen, die einem die Tränen in die Augen drückt: Das Lied von der Chervona Kalyna, dass dank des acapella Gesangs von Andrii Khlyvniuk von Boombox in diversen Remixes auftaucht und die Basis der Aufnahme von Pink Floyd dient. Das Lied ist noch aus dem ersten Weltkrieg, der Text verweist auf die mutigen Saporoger Kosaken. Er war von einer Tour zurück gekehrt um sich mit seinem Körper den Besetzern entgegen zu stellen. Davon den Mut dafür zu finden singt auch Sergey Babkin von 5nizza in seinem neuen Text zu ihrem dem altbekannten Klassiker Ya Soldat. Wenn es besonders schlimm ist, hilft gegen die Stille auch das Lied über die Drohne Bayraktar, einfach weil der Refrain einen den ganzen Tag lang nicht verlässt. Besser ist es, wenn die hell-fröhlichen Glocken von Gotha sie vertreiben. Die Sonne scheint. Nichts fällt vom Himmel.

Kalyna:

https://www.youtube.com/watch?v=q3s9AnQDPCQ

https://www.youtube.com/watch?v=saEpkcVi1d4

5nizza:

https://www.youtube.com/watch?v=ADrrGk0dZ7c

Bayraktar:

https://www.youtube.com/watch?v=CXVu_DeB4wo

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Odessa und ihre Hunde: Ich kam bei meinem ersten Buch nicht an diesem Hund vorbei. Chelobaka, der Menschenhund. Ein Mischling, der sich auf Odessas Straßen herumtrieb und als ich ihn 2009 kennenlernte war er angeblich schon so alt, dass ihn kein Rudel mehr aufgenommen hatte. Sich um den Primorskiy Boulevard herumtreibend, war das aber auch nicht so richtig notwendig, denn die Leute in der Stadt kannten ihn und fütterten ihn, dass er fast so rundgenudelt war, wie die Rudel, die am Privoz oder am Neuen Markt ihr Revier hatten. Sogar auf einer Postkarte wurde er verewigt. Ich hatte österreichischen Besuch und einer der Besucher zog eine Postkarte aus einem Postkartenständer in einem Geschäft in der Yekaterininskaya und sagte: „So, genau so, habe ich mir den Hund in deinem Buch vorgestellt.“ Ich habe Chelobaka 2012 wieder getroffen und irgendwann 2013 hatte ihm das Alter schon so zu schaffen gemacht, dass er Mühe hatte zu gehen, aber die Odessiten legten ihm Futter einfach direkt vor die Schnauze. Die Flaneure waren sein Rudel. Überhaupt fanden sich damals in Odessa viele Rudel, und jede Angst, die man vor ihnen haben hätte können, habe ich schnell abgelegt, aber auch Gäste, die ich aus Westeuropa empfing, die es nicht gewohnt waren, dass überall Hunde zu sehen waren, legten Befürchtungen schnell ab. Irgendwo hatte man den Eindruck, dass Darwin schon Recht gehabt haben musste, denn sie alle waren groß gewachsen und klug genug zu erkennen, wie Ampeln und Zebrastreifen funktionieren, dass es sich auszahlte, mit dem Rudel in der Nähe eines Supermarktes zu wohnen und dass Hausfrauen gerne Essensreste teilten. Bei meinem Wohnhaus in der Balkovskaya gab es ein solches Rudel, sie saßen oben auf dem Treppenabsatz und wenn der Portier schlief, kümmerten sie sich darum, dass keine Fremden ins Haus gingen, hatte man Gäste mit, musste man sie tätschelnd und mit beruhigenden Worten erstmal ordnungsgemäß vorstellen. Auf mich, die den einen oder anderen Abend mit einem gehörigen Schwips nachhause watschelte, hatte ihre Anwesenheit etwas beruhigendes: Immer wieder wurde mir von Freunden gesagt, ich solle nicht allein nach Hause gehen, aber die Wahrheit ist, dass ich nie alleine war. Sobald ich mich auf den Weg machte, tauchte irgendwo ein schwanzwedelnder Hund auf, dann noch einer und noch einer und ich merkte, dass mich das Rudel begleitete, bis an die Grenzen ihres Reviers, wo schon die nächsten warteten. Ein einzelner Mann, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite in die andere Richtung ging? Erfolgreich in die Flucht gekläfft! Jeder Hund weiß, dass es die Frauen sind, die mit ihnen teilen und so solidarisieren sie sich auf dem Nachhauseweg. Einmal querte ich eine Straße neben dem Zebrastreifen, es war Sonntag und die Balkovskaya war wenig stark befahren und da kläfften sie mich an, denn so geht das nicht, man nimmt den Fußgängerübergang, sonst wird man überrollt, das haben sie gelernt und wollen es auch mir beibringen. Politessenhunde quasi. In den letzten Jahren wurde viele von ihnen eingefangen und kastriert, daher sind sie aus dem Stadtbild fast verschwunden. (Beim Nachhausegehen stellte sich dann heraus, dass die Männer von der anderen Straßenseite auch finden, dass man nicht alleine nachts durch die Stadt wanken sollte, das teilen sie einem mit, bevor sie ihre eigene Route kundtun, damit man weiß, wohin sie gehen und begleiten einen dann, bis zur Wiese vor der Tür – ach, wie ich die Odessiten, Mensch und Tier, liebe!) Ich las Hundeherz von Bulgakov und dachte, dass das doch alles anders wäre, der Mensch mit dem Hundeherz vielleicht eher der bessere gewesen wäre, ein gutmütiges Vorbild vielleicht.

Vor wenigen Wochen war es nicht möglich, aus der Ukraine Haustiere ohne Impfungen und Dokumente auszuführen, jetzt ist das anders, aber es sind bereits viele zurückgeblieben. Viele Haustiere sind im Krieg bereits auf der Straße gelandet, sie wissen noch nicht, wie das ist, mit den Ampeln und Zebrastreifen, aber sie lernen gerade, wie das ist, mit den Frauen, die da sind und sich kümmern. Ihr dürft raten, wer sich um sie kümmert – Svetlana, über die ich auch schon geschrieben habe, hat auch die Hunde nicht vergessen, genauso wie die Pferde des Hippodrom.

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Seid so gut und merkt euch das Bayerische Haus in Odessa, denn vielleicht wollt ihr auch einmal in Odessa russisch oder ukrainisch lernen und hier gibt es ein Sprachzentrum, Kulturzentrum, Businesszentrum und ein Sozialzentrum mitten im Herzen der Stadt an der Ecke Uspenskaya und Aleksandrovsky Prospekt, geleitet von Maria Degtiarenko https://bayernhaus.com.ua/de

Überhaupt lernt man dort leicht jede Sprache, denn die Odessiten gestikulieren großzügig. Ich bin dort irgendwann hineingestolpert und habe auch kurzfristig dort ausgeholfen, und vor allem habe ich viel gelernt: Da waren die professionellsten Übersetzer, die man finden konnte, nicht nur in der Ukraine, sondern auch außerhalb. Nun, eigentlich Übersetzerinnen – der Großteil der Menschen, die in und ums Bayerische Haus tätig sind, sind Frauen die in perfektionierter Koordination Zeug auf die Beine stellen. Oft sind sie fast korrekter als nötig oder deutscher als die Deutschen, was mich immer ein wenig amüsiert hat, denn von der klischeehaften östlichen Trägheit ist nichts zu spüren, wenn Menschen streben. Das sind die größten Macher, die mir je begegnet sind. Die Deutschkurse die sie anbieten führen dazu, dass alle, die durch ihre Schule gehen besser deutsch können als ich, wesentlich besser. Viele sogar völlig akzentfrei. Manchen wurde in Deutschland gesagt, dass sie unglaublich gut russisch sprächen, weil man sie für Deutsche gehalten hatte. Unterstützt von Philanthropen gibt es nur eine Richtung: Vorwärts, die Dinge besser machen für Odessiten, Ukrainer zu unterstützen mit Innovationen auch in Deutschland Fuß zu fassen und das obwohl es nicht immer einfach ist, wie zum Beispiel als unter Poroshenko ein Buchhaltungsprogramm in der Ukraine aus Angst vor Cyberanschlägen verboten wurde. Auch das russische Facebook wurde blockiert, was man davon hatte war, dass elfjährige sich plötzlich auf der Straße über VPN unterhielten. Digital ist man ohnehin vor Ort an der Spitze – Flächendeckend Internet und überall Menschen, die damit umgehen können. Der Online-Unterricht in der Pandemie ist auch im erweiterten Krieg wieder gefragt. Es ist auch das Bayerische Haus, durch das ich die Koorporatsya Monstrov gefunden habe, denn hier arbeitet man schon lange Hand in Hand. Die Monstrov versorgen übrigens auch gerade Kriegsverletzte, die aus Mariupol und Nikolayev kommen. Hinter diese Organisation hat sich auch das Bayerische Haus gestellt, weil man dort genau weiß, wie die jeweils anderen arbeiten: Alles ist dokumentiert, alles braucht die entsprechenden Papiere, ein IT-Raum, um alles zu bewältigen und Kommunikation in alle Richtungen zu gewährleisten. Alles soll genau dort ankommen, wofür es gedacht ist. Odessa ist Zufluchtsort geworden. Daher: In diese Menschen setze ich mein Vertrauen.

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Das Besondere an Odessa besteht nicht aus Sehenswürdigkeiten, eher sind es die Menschen, die die Atmosphäre ausmachen. Heute möchte ich über Chum reden, der sich irgendwann nachdem er eine Familie gegründet hat aus dem Internet gelöscht hat – ja, das kann man machen. Von ihm habe ich nicht einmal ein Foto, vergessen werde ich ihn trotzdem nie. Ich glaube, dass wir uns in einer Untergrundbar kennengelernt haben, die oft noch buchstäblich im Untergrund sind. In den alten Shkaf auf der Deribasowkaya kam man zum Beispiel nur, ging man durch eine unauffällige unbeschriftete Tür Neben einer Bankfiliale, da saß eine Frau mit einem Hund, der Hund hatte eine Blechdose, in die man Geld stecken konnte „Für den Shkaf-Hund“ stand auf einem Zettel. Dann ging man die Treppe in den Keller hinunter, zweimal ums Eck und da versteckte sich die Bar. Solche Lokale tauchen in Odessa immer wieder auf, ziehen um, verlassen auch manchmal den Untergrund und bei keiner einzigen weiß ich, wie ich dort hingekommen bin, denn an der Tür als solche erkennbar waren sie alle nicht. Chum jedenfall kenne ich ziemlich sicher aus einer dieser Bars und er hat mir ein gutes Gespür dafür vermittelt, wo die Odessiten politisch so stehen: Meistens gar nicht, meistens lümmelt man oder liegt. Die politische Idee Odessas ist zumeist eher träumen und den Touristen winken. Ich habe zum Beispiel kaum einen Odessiten getroffen, der eine Hymne kann – weder die russische noch die ukrainische. Ja, die Melodie kennt man, allein fehlt es irgendwann am Text und wenn man den Text dann nachschlägt mit dem Mobilnik kommt oft mit einem Lachen: Das steht da? Echt? Ist ja albern!

Was aber jeder Odessit kennt ist das Shalandi polnye kefali – Ein Lied in dem es darum geht, dass Kostya der odessitsiche Seeman endlich heiratet und die Karpfen singen es aus vollem Halse. Darauf angesprochen fangen die meisten zu singen an, jeder Taxifahrer und Marktverkäufer. Man kann es auch ständig irgendwo in der Stadt hören. Man hat auch die sogenannte Orange Revolution 2004 nicht so wirklich mitgemacht, man kümmert sich um sich selbst und da kommt Chum ins Spiel, Chum, der faszinierende Andekdoten von seinen Katakombenbesuchen erzählt, sich mit allen möglichen Maschinen auskennt und überhaupt ein Spezialist in Sachen was und wo in Odessa ist. Der Reiseführer, den ich mir vor meinem allerersten Aufenthalt, vor dem Auslandssemester 2009 gekauft habe, erwähnte die Orange Revolution am Rande und erwähnt, dass in Odessa am Primorskiy Boulevard Pushkin ursprünglich zur städtischen Duma hin geblickt habe. Darauf gab es Kritik aus Kiev, dass es doch nicht sein dürfe, dass ein russischer Dichter auf ein ukrainisches Regierungsgebäude blickt. Der Reiseführer erklärte dazu, dass die Odessiten Puschkin eben so liebten, dass sie ihn kurzerhand umgedreht hätten: Puschkin blickt seither auf den Boulevard. Ich schlendere also mit Chum den Primorskij entlang und wundere mich, wie man das so anstellt, ein ganzes Denkmal mit Sockel und da beginnt er auszupacken, über den Kran, die spezifischen Details und die Freunde die beteiligt oder eben nicht beteiligt waren („Ich will ja nicht sagen, dass ich dabei gewesen bin, aber…“) Puschkin zu entfernen wäre ihnen einfach schwachsinnig vorgekommen: Wenn sie an Symbolen was ändern wollen, kein Problem, hatte sich schnell erledigt. Ich hatte also den Mann gefunden, der Puschkin umgedreht hat. Er hat mir übrigens auch erzählt, dass bei der Demo, die verhindern solle, dass neben dem sogenannten Wandhaus, das nur wie eine Fassade aussieht, ein anderes Gebäude hochgezogen werden sollte, mehr Menschen gewesen seien, als bei allen prorussischen und proukrainischen Demos zusammen. Das ist die Freiheit Odessas, die man sich dort einfach nimmt und nun mag das anders sein mit dem politischen Seite beziehen, der Gleichmut ist verschwunden, denn wegnehmen lässt man sich die odessitische Freiheit nicht. Wer weiß, was Chum aktuell gerade alles umdreht? Mag sein, dass er sich auch gerade für die Abwehr engagiert, ganz ohne soziale Medien. Hilfe können sie auf jeden Fall alle brauchen – ihr wisst ja, wie das geht.

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Es ist höchste Zeit, dass ihr die wichtigste Straße in Odessa kennenlernt: Die Deribasovskaya. Nun, vielleicht nicht für alle die wichtigste, aber für den geübten Flaneur eine notwendige Straße, damit man wunderbarerweise von Puschkin vor der Duma am Primorskiy Boulevard (dem „Vormeerigen Boulevard“) zurück zirkulieren kann. Beide sind schon lange Fußgängerzonen und sie sind Ort der erstaunlichsten Begegnungen. Hier sind die Ponies, die Zuckerwatteverkäufer, die Cafés, Restaurants, Eisdielen und Straßenmusiker. Gerade abends herrscht reges treiben, unsere Geschichte beginnt aber morgens: Ich wollte mein österreichisches Bargeld in Griwna wechseln und fand mich auf der gegenüberliegenden Seite des Kathedralenplatzes bei einer Wechselstube ein. Ich hatte überhaupt keine Griwna mehr und das Tantchen erklärte mir, dass noch keine Griwna geliefert wurden, ich könne ja in einer Stunde wiederkommen. Gleich nach mir hoffte jemand seine Dollar zu wechseln, kein Tourist, sondern ein Odessit: Das ist Pratt. So heißt er natürlich nicht wirklich, aber für heute bleiben wir dabei. Auch er hatte keinen einzigen Griwna mehr. Wir schlendern also ein Stück, wir hatten beide aus demselben Grund eine Stunde totzuschlagen, da kann man sich auch unterhalten und plötzlich liegen vor uns 20 Griwna auf dem Boden neben einem Baum! Umgerechnet waren das zu diesem Zeitpunkt noch etwa 2 Euro, damit konnte man in einem Café auf der Deribasovskaya gerade einen Kaffee kaufen und wir teilten ihn, als sei uns mit diesen 20 Griwna gerade das größte Glück geschehen. Im Laufe des Gesprächs hatten wir viel zu lachen aufgrund unserer Gemeinsamkeiten: Ich war gerade erst nach Odessa zurückgekehrt um endlich Autorin sein zu können, er hatte gerade seine allererste Erzählung in einer Literaturzeitschrift untergebracht und, was noch viel besser war, sie bezahlten ihn für seine Geschichte in Dollar! Irgendwann wanderten wir langsam wieder zu unserer Wechselstube zurück, bekamen unser Geld und gingen unserer Wege. Wir tauschten keine Nummern aus, es reichte vollkommen zu wissen, dass man einander auf der Deribasovskaya ohnehin begegnen würde. Immer wieder liefen wir uns zufällig über den Weg, niemals tauschten wir Kontaktdaten aus, wozu auch? Ich habe mich immer darauf verlassen, dass wir uns dort begegnen würden, einander berichteten, was gerade so passierte und mit der Gewissheit einander wieder zu sehen undramatischen Abschied mit einem „Bis bald!“ zu pflegen. Mit Gewissheit - - - Bist du noch dort?
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Heute erzähle ich euch nicht von einem, sondern von DEM Odessiten: Jeder in Odessa kennt Leonid Baratz und was noch viel erstaunlicher ist: Leonid Baratz scheint jeden in Odessa zu kennen. Wir haben uns 2012 im Alchimiya kennengelernt. Er war zu dieser Zeit noch Restaurantblogger und die Szene zweier Odessiten ist in mein erstes Buch eingegangen: Der eine meint, dass sei „der kleine Jude, der sich ständig durch Nobelrestaurants futtert und schlürft. Was für ein Leben!“ Darauf folgt viel verbale Empörung, mit Details über jedes einzelne Restaurant, bis der andere ihn fragt, warum er denn den Blog lese, wenn es ihn so aufrege, was der für ein Leben führe: „Na weil er mit den Empfehlungen einfach recht hat.“ Dann widmete er sich wieder seinem Essen im Alchimiya und wir zwei kicherten. Irgendwann hatte Leonid dann eine eigene Fernsehsendung, sie startete jedesmal an der gleichen Stelle, nämlich am Markt „Privoz“ in der Fischreihe, bei der Statue jener Dame, die ihr da unten seht. Dann folgte eine Spaziergang in die Stadt, in der Interviewpartner über ihr Odessa sprechen durften und als österreichische Autorin habe ich mich richtig berühmt gefühlt, auch in dem Format auftreten zu dürfen – neben all den lokalen Berühmtheiten! Und neben dem bekanntesten unter allen Odessiten.

Zuletzt war er vor dem Krieg nach Polen gereist um seinen Geburtstag zu feiern und meinte noch, dass es keinen Krieg geben würde und wenn würde er wohl sehr begrenzt sein, natürlich würde er zurückkommen. Doch die Reise verlief anders, wir alle haben unsere Illusionen eingebüßt: Er ist nach Kriegsausbruch nach Israel weiter, hat auf dem Weg sogar seine Brille verloren, dort jedoch sogleich die helfenden Hände gefunden, ihm eine neue zu vermitteln. So überrascht und erschrocken zugleich war die odessitische Seele. Nun versucht er jene Einheimischen zu vernetzen, die wie er den Weg nach Israel gefunden haben. Wenn das die Nazis sein sollen, von denen in russischen Medien gesprochen wird, haben sie wohl die ganze Synagoge voll davon.

Wenn ich an unsere Unterhaltungen denke, muss ich oft lachen. Sogar über Ziegelsteine! Ja, man kann über Ziegelsteine gute Unterhaltungen führen. So habe ich in Österreich einen Freund, der Ziegelsteine sammelt, sind Ziegelzeichen darauf. Wenn man Freunden etwas mitbringen will aus anderen Ländern ist, es gut, wählt man etwas aus, was die auch haben wollen: Für diesen habe ich aus Sri Lanka einen Ziegel der Ceylon Brick and Tile Company mitgebracht und ihm geholfen einen Ziegel vor dem wunderschönen imperialen Postamt in der Gartenstraße in Odessa zu...ähm...pflücken(?). Einige waren locker und sie waren beschriftet mit „Poshta“ – Post. Leonid jedoch konnte alle Ziegelgeschichten übertreffen: Einst gab es eine Ziegelei in der Ukraine, erzählte er, die ihre Ziegel auch ins Ausland verkaufen wollte. So hielt man es bei aller Ganovenehre für eine gute Idee, die Ziegel mit dem Schriftzug „London“ zu versehen. Jedoch war man nicht achtsam bei den Buchstaben und da das kyrillische „N“ aussieht wie unser „H“ stand auf ebendiesen Ziegeln „LOHDOH“. Eines Tages, so scherzten wir, würde ich einen solchen „LOHDOH“ in Händen halten. Warum ich gerade diese Geschichte ausgrabe? Wenn ich heute an Ziegel denke, kommt mir oft jene Auflistung in den Sinn, warum ein Ziegel einfach die beste Waffe ist. Die humoristische Zusammenfassung geistert seit 2014 durchs Netz, jagt sie gerne durch die Autoübersetzung – ein Ziegel ist eine praktische Sache. Im Krieg. Es gibt nichts, was man nicht brauchen kann, wenn man sich seiner Haut wehren muss, weil man nicht, so wie Leonid es konnte, gerade in einem anderen Land ist. Auch in Odessa führt man nun Ziegel einem neuen Zweck zu, aber auch alles andere – gewiss habt ihr die Geschichte von der Frau gehört, die eine Drohne mit einem Glas eingelegter Gurken abgeschossen haben soll? (Zweifelsohne Fake News, es handelte sich um eingelegte Tomaten.) Inzwischen wird Leonid von außerhalb alles tun, was ihm einfällt, wie er helfen kann, ebenso wie alle anderen, die das Land verlassen haben. Sie sind alle noch da, sie kämpfen eben nun auf andere Art, als jene, die geblieben sind, aber sie kämpfen.

Leonid auf Youtube:

https://www.youtube.com/watch?v=kd_wc9g7wMY&t=1s

Почему кирпич является идеальным оружием?

1) Кирпич дешев.

2) Кирпич доступен.

3) Hа кирпич не нужно разрешение.

4) Для хранения кирпича не нужно специальных условий.

5) Кирпич не нуждается в апгрейде.

6) К кирпичу не нужны ни пульки, ни баллоны, ни патроны, ни батарейки.

7) Кирпич не только выглядит как настоящий, но и является

таковым.

Кирпич всегда выглядит внушительно.

9) У кирпича очень хорошее останавливающее действие.

10) Кирпичом не обязательно попадать точно в глаз, горло или колено.

11) Кирпич привязанный к веревке становится оружием

массового поражения.

12) Вы не можете надышаться кирпичом при его

применении.

13) К кирпичу не придерутся ППСники. Даже если вы будете нести его в руке.

14) Ваш ребенок не застрелит друга, если вы случайно

оставите кирпич на столе.

15) Кирпич можно разломить - достаточно и половины

дозы.

16) Из двух десятков кирпичей можно сделать бронежилет.

17) Hа кирпиче можно сидеть.

18) Hа двух кирпичах можно жарить шашлыки.

19) Из трех кирпичей получается отличная ловушка для

грузинской мыши.

20) Кирпич бесшумен.

21) Кирпич имеет неограниченный боезапас.

22) Кирпич можно использовать как средство общей

анестезии.

23) Кирпич не нуждается в обслуживании и не ломается.

24) Кирпич никогда не дает осечек.

25) Применение кирпича возможно без всякого обучения и

чтения нудных инструкций.

26) При виде кирпича у вас никогда не возникнут мысли о

суициде.

27) Кирпич не регистрируется метало-детекторами

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Heute ist es kein Odessit, den ihr kennenlernt, sondern jemand aus Russland. Ich habe ihn in Viktor Zojs Kamchatka in St. Petersburg kennengelernt und wir trafen uns in Kamchatka, am anderen Ende der Kontinentalplatte wieder. Er hat mich herumgeführt und auch gefahren, denn ohne Jeep kommt man in Kamchatka nicht weit, zumal sommers die Wege schmelzen. Natürlich habe ich allen, die ich getroffen habe alle möglichen und vor allem unmöglichen Fragen gestellt: was sie vom Regime halten, ob sie glauben, dass es viel Propaganda gibt, was sie vom Krieg in der Ostukraine halten. Viel unsicheres mit dem Kopf wackeln war die Antwort auf ersteres, dass der Fernseher einem morgen erzählt, dass weiß nun grün sei und man kann nur „Aha.“ sagen, auf zweiteres und auf das Dritte? „Warum sollen wir da Krieg führen? Das sind unsere Brüder, wir brauchen da keinen Krieg.“ Sasha hat auf die Frage mit der Propaganda eine Antwort gegeben, die großen Einfluss auf mein Buch hatte. Ich habe den „Aufrichtigen Äther“ so genannt, weil er sagte, dass der „Pryamoy Efir“ – der „Erste Kanal“, wörtlich der „Erste Äther“ in Russland, ganz besonders „pryamiy“ wäre, und ich glaubte Ironie zu hören und erst da fiel mir auf, dass Yanka Dyagileva auch davon singt, dass Dinge „pryamiy na efir“ kommen, denn das Wort „pryamo“ bedeutet nicht nur „der erste“ sondern auch „aufrichtig“, „geradlinig“ und „ehrlich“. Einen „pryamiy chelovek“ würde man wohl hierzulande einen „geraden Michl“ nennen. Ganz ironiefrei. Ich habe keinen Kontakt zu ihm, seit so viele Kommunikationsmöglichkeiten von Russland eingeschränkt wurden und ich frage mich, was er macht, was er denkt, wenn er die Nachrichten hört. Alle Sprachen haben solche Feinheiten. Im Aufnahmezentrum für Flüchtlinge bei der Messe ist mir aufgefallen, dass alles dort nur auf ukrainisch beschriftet ist und das obwohl sehr viele Menschen, die aktuell vor diesem Krieg flüchten aus der Ostukraine sind und oft nicht einmal ukrainisch sprechen, sondern russisch. Dies erschwert ihnen die Registrierung und man wolle es nicht auf russisch aushängen, denn es sei die Sprache des Aggressors. Für jemanden russischer Muttersprache, der gerade aus der Ukraine ankommt, muss das ebenso befremdlich anmuten, wie für alle jene Ukrainer, die eigentlich einen russischen Pass haben, die Ukraine ihre Heimat nennen, die oft mit Ukrainern mit ukrainischen Pässen verheiratet sind, denn sie haben bei uns nicht die gleichen Möglichkeiten, wie diese. Ebenso wie Russen, die aus Angst vor ihrem Regime das Land verlassen weit weniger Möglichkeiten haben. Niemand läuft vor der russischen Sprache davon. Nicht russisch ist die Sprache des Aggressors, Bomben und Schrapnelle sind die Sprache des Aggressors. Gewalt ist die Sprache des Aggressors und sie richtet sich auch gegen jene, die wissen, wie pryamo der Efir ist.

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"Noch nie hat eine Katze mit einem Menschen Bruderschaft getrunken." so lehrt und Begemot, der Kater in Bulgakovs "Master i Margarita". Daher ziehen Katzen auch in keine Kriege, sie fangen keine an, steigen in keine ein. So dämonisch sie uns anblinzeln mögen: In all den Kriegen dieser Welt sind Tiere immer unschuldig, sie leiden mit uns, sie trösten und wie wir aus alten russischsprachigen Filmen lernen, ist es durchaus legitim, wenn man Trost braucht, nach einer Katze zu fragen. Odessa hat ein ganz besonderes Verhältnis zu Katzen - man wundert sich nicht, wenn sämtlicher Verkehr in alle Richtungen am Aleksadrovskij Prospekt zum erliegen kommt, weil eine Katze über eine Kreuzung mäandert. Sie beherrschen das Stadtbild und nun ist ihr Reich in Gefahr. Viele ihrer willigen Diener musssten die Stadt verlassen und gerade in den ersten Tagen des Krieges wurde viele Tiere  zurückgelassen, da die Regeln für Grenzübertritte von tierischen Kameraden noch nicht gelockert waren. Wo sind sie nun? Viele haben sich in der Uspenskaya 4 eingefunden, bei einem Kloster, und das ist die Person, die sich ihrer annimmt. @Svetlana Jeden Tag dankt sie den Streitkräften für ihren Einsatz, denn wer weiß, wie es um Odessa stünde, wären diese nicht - und was wäre dann mit all ihren Schützlingen? Sie geht nicht weg. Ihre Tage sehen so aus, dass sie zuallererst die Katzen versorgt, die laut ihrer eigenen Aussage schon das Vater unser auswendig gelernt hätten, es könnte aber auch das Kater unser gewesen sein und sie wärmen sich gegenseitig, weil Käterchen Frost immer noch da ist. Je nachdem, was zur Verfügung ist, kocht sie das Futter auch selbst. Dann beginnt sie ihre Tätigkeiten für den Humanitären Stab, wo Kleidung, Essen, Tierfutter gesammelt werden, damit die Versorgung in der Stadt nicht zusammenbricht. Dazwischen vernetzt sie immer wieder helfende Hände mit Findlingen, Spendenwillige mit Tierfutterlieferanten und es gibt nichts, was sie nicht tut. Krieg bedeutet, dass es eine Unmenge zu tun gibt, was man alles machen kann, die rege Tätigkeit findet kein Ende. Für die Unschuldigen, für die Tiere, die alle nicht wissen, was gerade passiert, bei Detonationen vor der Stadt zittern, die vielleicht rufen würden "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!", selbst wenn sie mit Gott vielleicht Dosenöffner meinen, wenn nicht Svetlana wäre. Svetalana hat sie nicht verlassen, Svetlana verlässt sie nicht. Svetlana ist da, mit dem ganzen Herzen, jeden noch so langen Tag. Wenn der Krieg vorbei ist, trinken sie mit ihr auf Bruderschaft.

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Reden wir über die Enstehungsumstände meiner Bücher, reden wir über Jegor: Ich hatte mein Auslandssemester abgeschlossen und war bei nächster Gelegenheit nach Odessa zurückgekehrt, um Neujahr 2010 fand ich ich mich Café Bufet, so wie bereits Monate zuvor. Eines jener Wohlfühhlkellerlokale, mit gemütlichen kleinen Sofas, wo immer eine Schale Konfekt auf dem Tisch steht, liebevoll eingerichtet. Der Kleiderständer ist ein türkis bemaltes Hirschgeweih mit kleinen Herzen, die Platzdeckchen bunt, mit unterschiedlichsten Mustern und der Buchweizen mit Pilzen betörend. Überhaupt haben die Cafés in Odessa etwas Wienerisches, nur mit mehr Sonne, sogar, wenn sie im Keller sind. Das ist eine Besonderheit Odessas: Die alten Häuser sind aus Muschelkalk, daher sind sie nicht so hoch, zwei-drei Stockwerke, da das Material für höhere Häuser zu weich wäre. Muschelkalk, herausgeschnitten aus den Katakomben. Da nun jede Straße in der sorgfältig geplanten Stadt eine Allee ist und Gehsteige um die acht Meter breit – man witzelt, die Odessiten bräuchten den Platz um sich wild gestikulierend begrüßen zu können – scheint einem dort die Sonne. In Wien ist es wegen der Häuserschluchten dunkler und ich hatte immer den Verdacht, dass das K-und-K-Reich schon etwas damit zu tun haben könnte, dass man in Odessa solche Kaffeehäuser hat, als wolle man nacheifern, aber im Café zu sitzen richtig zu genießen, haben mir erst die Odessiten beigebracht. Ich gehe jedenfalls ins Bufet: Dort arbeitete ein neuer Kellner, mit dem ich mich auf Anhieb gut verstand. Als ich das nächste Mal nach Odessa zurückkehrte, mit dem Plan dort meine erstes Buch zu schreiben schlägt eine Freundin vor, in das Café Alchimiya auf der Deribasovskaya zu gehen, dort gibt es hausgemacht Limonade. Ich dachte: Prima, kenne ich noch nicht. Kleine Sofas, Glaskolben und Reagenzgläser als Vasen, passend zum Namen. Da stand Jegor plötzlich vor mir – denn, das Café hatte den gleichen Besitzer, wie das Bufet. Wir setzten uns dort an einen Tisch und manchmal kommt es mir vor, als hätte ich diesen Platz die nächsten paar Jahre nicht verlassen: Ich kam am nächsten Tag wieder um dort zu schreiben, und am darauf folgenden und am darauf folgenden. Ich bekam schon Stammkundenrabatte, ohne eine Stammkundenkarte zu haben. Hatte ich fertig geschrieben trank ich manchmal einen Cocktail, hatte ich Hunger gab es Borschch in rot und grün oder Kartoshki mit hausgemachter Knoblauchsoße. An der Frequenz des Klapperns der Tastatur konnte Jegor schnell erkennen, wann Koffein nachgefüllt werden musste und manchmal setzte er sich an meinen Tisch und ich muss hier festhalten: Keines meiner Bücher wäre dasselbe ohne ihn. Vieles hätte ich nicht gewusst, so zum Beispiel, dass die Häuser aus Muschelkalk sind und was es mit den Katakomben auf sich hat. Wie sie sich kilometerweit in 6 Ebenen, zwei davon überschwemmt, unter der Stadt winden. Von den Parties, die dort unten stattfinden sollten, wo leicht Menschen verloren gingen, dass manchmal dort Haustiere verschwanden, oder sogar, dass ein Haus in sie hinabgesunken sein soll. Das letzte mag er erfunden haben, aber so magisch er mir die düstere Unterwelt beschrieb, habe ich es sofort geglaubt und natürlich für ein Buch geklaut. Er gehört gewiss zu den Menschen, durch deren Gespräche ich am meisten gewachsen bin. Jede einzelne Idee in Ostrov Mogila hat irgendwo einen Ursprung in den Gesprächen, die wir geführt haben. Seither ist er mehrfach umgezogen, hat nun in Kiev gelebt und alles mögliche und unmögliche gemacht, denn es gibt vermutlich nichts, was er nicht kann und nun harrt er der Stadt entflohen mit seiner Frau und seinem Kind aus, muss fürchten, in diesem Krieg kämpfen zu müssen, dabei versteht er zu viel vom Leben, und hat in diesem Sterben nichts zu suchen. Seit es losging habe ich jeden Tag an ihn und seine Lieben gedacht, an das Alchimiya gedacht, an diese meine herzallerliebsten Menschen, die mich in meiner Traumwelt mit Kaffee und Naschwerk fütterten. Ich würde sie alle am liebsten einzeln mit Helicoptern holen, auf ein kleines Sofas setzen, einen Kaffee hinstellen, Kartoshki mit Soße und sagen: Du bist zu Hause, es ist alles nur ein böser Traum gewesen. So wie ich im Alchimiya zu Hause war.

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Ich bin wütend auf dich, Andrey!* Hörst du?! Ich bin wütend auf dich. So, Leute, das ist Andrey, das ist der beste Freund, den ich in Odessa habe. Freunden verzeiht man gern Kleinigkeiten und weil uns die Liebe zu Bildern und Worten verbindet, verzeihe ich ihm immer alles: dass er ständig zu spät kommt, dass er oft ein ganzes Jahrhundert nicht antwortet, dass er mit dem Kopf so in Tagträumen ist, dass die Realität eben warten muss. Aber gerade bin ich wütend auf dich, Andrey! Hörst du?! Weil du schon wieder nicht antwortest, die Realität schleifen lässt und ja, ich versteh das, weil die Realität gerade unbrauchbar geworden ist. Wer will auch in der verf*ckten Realität sein gerade? Und kommt mir bloß nicht damit, was Menschen für Sprache finden auf den Schlachtfeldern, was Unglück für große Literatur hervorbringt. Was das mit der Poetenseele macht! Mit dem Vögelchen zwischen Schrapnellen. Und nach dem ganzen Long-Covid erst! Sollen sie alle banalen unwichtigen Müll schreiben, anstatt in den Krieg ziehen zu müssen! Sollen sie kitschige Mistliteratur verfassen, wenn ihm nur erspart bleibt zu fühlen, was wir bei Remarques „Im Westen nichts Neues“ lesen! Wie einfach alles noch war, als du nicht aufhörtest von Viktor Zoy zu reden und von „Zvezda po imeni solntse“, dem Stern namens Sonne, unter dem ständig Krieg geführt wird und du mir die Zeile „Medizin gegen die Falten“ versucht hast pantomimisch zu darzustellen? Das Lied, dass ich von Polen, bis ins Baltikum und Russland auf Reisen immer wieder gehört habe? Die russische Friedenshymne aller Straßenmusiker? Die man sich von jedem von ihnen wünschen kann? Erinnerst du dich? Wie leichtherzig wir gelacht haben? Ich bin wütend auf dich, Andrey, weil du nicht antwortest! Und wütend will ich sein, wütend, so lange es geht, denn vor dem Gefühl, wenn ich nicht mehr wütend bin, habe ich Angst, bitte lass mich wütend sein, für immer am besten, wütend!

*Er hat sich gemeldet, es hat sich erledigt, danke für eure Empathie.

 

https://www.youtube.com/watch?v=osYiNL3w8nk

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Das ist sie, die Löwin von Odessa! Katherina Nozhevnikova, die gerade jetzt in diesem Moment alles tut, um Odessa helfen zu können. Sie hat schon tagelang auf dem Boden ihres Büros geschlafen, tagelang ihren Sohn nicht gesehen – alle Odessiten sind jetzt ihre Kinder. Sie hat die Organisation „Korporatsia Monstrov“ gegründet und ursprünglich mit ihrem Team Kinderkrankenhäuser versorgt. Seit 2014 macht sie das, 2014, als der Krieg kam, dann kam Corona, dann kamen die Masken und Impfungen und jetzt kommt noch mehr Krieg und alles ist ein übermenschlicher Kraftakt. Schwierige Zeiten, denn wie in jeder Familie, taten sich Fronten in den Wohnzimmer auf und wie in allen Familien: pro-russisch, pro-ukrainisch und es sich gegenseitig vorwerfend. Doch hier ziehen sie alle an einem Strang, und die Meinungsverschiedenheiten sind einfach verschwunden. Das passiert, wenn man unter Beschuss ist. Wenn jemand vom Militär kommt und Ansprüche auf Hilfsgüter, die von der Organisation gekauft oder für sie gespendet wurden erhebt, dann beharrt sie, dass all das für die Zivilbevölkerung ist, dass man ohne entsprechende Dokumente ihr gar nichts aus den Händen nehmen wird, erst recht nicht einen ganzen Laster an Gegenständen, Katherina hat ihn vertrieben, den dreisten Mann vom Militär. Er kann wiederkommen, wenn mit seinem medizinischen Personal und der Buchhaltung geklärt ist, was wo gebraucht wird und nicht einfach sagen: So, das gehört jetzt uns, auch wenn er die medizinischen Geräte und Gegenstände gar nicht kennt und nicht weiß wozu sie gut sind. Wenn es sein müsste würde sie alles mit Zähnen und Klauen verteidigen, damit alles an einer Stelle landet, wo es Sinn hat. Demütig werden diese Männer, wenn sie sehen, was sie mit ihrem Team auf die Beine stellt. Auch andere Städte, die weniger Ressourcen haben, haben sich an sie gewandt und sie hilft, wo sie nur kann, organisiert, kommuniziert, reorganisiert, weitet aus, unterstützt Flüchtlinge, sucht immer wieder helfende Hände, um Lastwagen auszuladen, Fahrten zu machen, bei der Buchhaltung zu helfen. Auch Flüchtlinge aus umliegenden Städten werden versorgt. Die Löwin von Odessa lässt niemanden zurück. Der Mut, die Kraft und das Durchhaltevermögen, genährt durch ein tägliches: Für Odessa!

 

Das ist ihre Organisation:

http://monstrov.org/

Spendeninformation hier

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Das sind meine Freunde Anton und Ksenya, wir kennen uns schon seit 2009, als ich das erste Mal in der Ukraine war und noch so schrecklich schlecht russisch sprach, dass sie alle viel Geduld mit mir brauchten. Beide waren immer mit ihrem Herzen beim Rock – nein wirklich, Anton kann alles spielen, ob es etwas von „The dark side of the moon“ ist, „Smells like Teen spirit“ oder die Lieder aus dem russischen Rock, wie von Grazhdanskaya Oborona oder DDT. Wir haben uns durch Strandfestivals getanzt und die Zeit gehört zu den unbeschwertesten in meinem Leben. Ohne die beiden würde ich Größen des russischen Rocks wie Yanka Dyagilyeva nicht kennen, die in den Jahren 88 und 89 gegen das Regime ansang mit einer Wortgewalt, wie man sie selten findet. Von ihnen habe ich auch gelernt, dass „Rok“ im russischen nicht nur die Musik bezeichnet, sondern auch ein altes Wort für „Sudba“ ist, „Schicksal“. Wie das mit dem Schicksal so ist, haben sie im Herzen auch den Platz füreinander gefunden und dieses knusprige Krapferl mit ihnen auf dem Weihnachtsfoto ist das Ergebnis des „Rok“. „U nas ne budyet Boga krome roka“ wie Yanka Dyagileva singt – Wir werden keinen Gott außer dem „Rok“ haben. Dieser hat jetzt eben Animationsfilme statt Metal-Festivals verordnet. Einer dieser Filme „Es war einmal ein Hund“ steht für diese Freundschaft. Ein Hund und ein Wolf schließen Freundschaft, die in einem Satz ausgedrückt werden kann „Zachodi, esli chto…“ - „Komm zu mir im Falle dass…“ Das Prinzip, dass wer helfen kann hilft. Wie leicht und einfach mir die Zeit rückblickend vorkommt mit Menschen, an die ich mich immer wenden konnte, wenn ich Hilfe brauchte und wie winzig Stolpersteine und Dramen doch nun wirken, wo sie die Stadt verlassen haben, aufs Land geflüchtet sind in Anbetracht dessen, was Odessa drohen könnte. Sie werden erst weggehen, wenn sie müssen. Nun, Ksyusha und das Kind, denn Anton wird das Land nicht verlassen dürfen. Doch auch jetzt verbindet uns dieser Satz, wie er mich mit vielen anderen verbindet, die noch dort sind: „Zachodi, esli chto…“ Ein Satz, den viele Österreicher gerade vor sich hertragen, denn es ist das erste Mal in unseren Lebensspannen, dass Menschen, mit denen wir so viele persönliche Kontakte haben von einem derartigen menschengemachten Unheil betroffen sind: Die Studenten bangen um ihre Freunde, Geschäftsleute bangen um die ihren und Bauern erfüllt Entsetzen um Erntehelfer und ihre Familien. Nicht, weil man sie für Business braucht, sondern weil es die Menschen sind, mit denen man lachend, trinkend, singend, Abende zugebracht hat, die einem ans Herz, ins Herz gewachsen sind, die man zu jedem Abschied umarmt hat und jetzt doch wünschte, man hätte sie nie losgelassen.

 

Schaut euch den Film an – er hat keine Untertitel, aber ihr werdet keine Schwierigkeiten haben, ihn zu verstehen, schaut euch Yanka an, die über die Sinnlosigkeit des Krieges singt und die es immer noch täte, wäre ihr Leben nicht zu kurz gewesen.

https://www.youtube.com/watch?v=twSn58BPgWM

https://www.youtube.com/watch?v=b2KVWEoWXQE

 

Helft Odessa, damit sie bald zurück können in ihr Zuhause können – sie haben dort gewohnt, wo der Straßenhund, der in der Balkovskaya wo ich lebte, in die Marshrutka einstieg, wieder ausgestiegen ist, um zu seinem Rudel zu kommen. Als sei es sein Arbeitsplatz – er wartete auf die Marshrutka, setzte sich auf den Behindertenplatz und stieg bei seinen Freunden aus: „Zachodi, esli chto…“

 

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Das ist ein Portrait von Dmytro Myliutin. Dmytro hat es ein paar Tage vor dem Kriegsausbruch machen lassen und man kann die Sorge um die Zukunft in seinem Gesicht sehen. An sich ein beschauliches Leben, ein Parfumgeschäft in der Gogolstraße mitten im Zentrum zu führen. Noch ein wenig Escada? Oder doch eher Channel? Jemand, der auf den ersten Blick sehen kann, welcher Duft zur Stimmung passt. Stimmungen, wie Düfte, sind eben nicht feststofflicher Natur. Dann ist der Krieg ausgebrochen und während viele in unproduktiven Stressreaktionen versunken sind hat er auch diese Stimmung verstanden und nicht lange gefackelt, hat alle Gelder zusammengenommen, und begonnen sehr Festes und sehr Stoffliches zu kaufen, nämlich alles, woran es den örtlichen Hilfsorganisationen mangelt, alles was Feuerwehr und die sogenannte territoriale Abwehr brauchen kann: Pampers, Eisenketten, Seife, Stoffe und Nähmaschinen zum herstellen von kugelsicheren Westen, Kochtöpfe, Knieschützer, Gaskocher, Generatoren und Werkzeuge, Werkzeuge, Werkzeuge. Auch die Flüchtlinge aus den östlichen Städten, die in Odessa ankommen müssen versorgt werden. Für all das fährt er mit seinen fünf Freunden jeden Tag los, klappert Baumärkte ab, findet, was viele geglaubt haben, dass nicht mehr verfügbar sei, denn er kennt alles und jeden. Wie die Odessiten immer sagen: „Odessa ist doch ein Dorf!“ Auch wenn die Sirenen heulen fahren sie. Wenn man ihn einen Helden nennt winkt er ab: „Nein, nein, nicht doch, ich bin kein Held, ich tue das für die Unsrigen.“ Für die, die dann mit ihren Körpern zwischen dem Angriff und der Zukunft stehen. Unsere Kinderchen! Nicht Heldentum, sondern die Angst um andere ist der Antrieb, ein stärkerer Antrieb als die Angst um sich selbst, der Antrieb bei Luftalarm loszufahren. Mut ist immer die Überwindung von Angst und die eine überwindet er für die andere. Er sagt mir am Telefon, wie sehr er alle liebt, für all die Spenden und er weint, weil auch aus Österreich Geld kommt und aus Deutschland, Polen, Rumänien und er sagt mir, wie sehr er uns liebt und da weine ich auch schon längst. Noch nie habe ich so viele Herzen gesehen, wie sie sich jetzt auf seiner Facebookseite @Dmytros sammeln, und er antwortet mit Herzen und meint jedes einzelne davon. Jede Unterstützung ist eine Unterstützung für jene, die er gerne retten würde, in Seidenpapier packen und ein bisschen Duft dazu. Dieser Krieg stank schon von Anfang an! Helft ihm also helfen so gut ihr könnt. Ach, Dmytro, wenn die Minen weggeräumt sind und alle deiner Helden sicher, tanzen wir am Strand, es wird nach Salz, Holunder und Channel riechen! Bis dorthin wünschen wir Odessa scheußliches Wetter, damit er mit seinen Freunden gefahrlos fährt und keine Bomber kommen.

 

Dmytro Myliutin, Odessa, Western Union Überweisung oder per Kreditkarte auf seine Debitkarte Nr.: 5221191100719144

 

Sogar eine kanadische Zeitung schreibt bereits über ihn: https://www.theglobeandmail.com/world/article-in-odesa-opera-singers-and-perfumers-seek-to-defend-city-from-russian/

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Aus der Reihe „Kotiki v Lente“: Das ist Vitya Brevis – ja, so heißt er, das Leben ist kurz, zumindest veröffentlicht er unter diesem Namen Literatur über Beziehungen, Zwischenmenschliches und die freie Partnerwahl. Da unten ist auch ein Foto von ihm bei einer Lesung unter dem Titel „Drei in einem Bett“. Eigentlich heißt er Vladimir oder ukrainisch Volodymyr, die Koseform wäre Vova und dieser Vova hätte gerne, dass der Vova in seinem Bunker in Russland seine Leute zurückpfeift. Der Dyuk Richeleu auf dem Foto zeigt die Richtung, wo sich „na chuy“ befindet, wohin sich selbiger tunlichst schleichen kann. Beim Dyuk guckt übrigens jetzt nur mehr der Arm raus, reicht ja als Hinweis.

Als Russe mit deutschem Pass hätte er gehen können, bei Kriegsausbruch war er in Lemberg und hätte einfach sagen können: und tschüss! Hat er nicht. Er ist zurückgefahren nach Odessa, denn als Mensch, der die ersten 26 Lebensjahre in Petersburg zu gebracht hat weiß er, dass er das freie kosmopolitische Odessa nicht unter russischer Herrschaft haben will. Queer sein in Odessa ist wesentlich gemütlicher als in Russland. Die Nazis hätten ihn damals vermutlich 5x hingerichtet: bissl jüdisch, bissl zigan, bissl russisch, bissl deutsch, bissl schwul – ein waschechter Odessit! Was der russische Staat da genau denazifizieren will ist schwer zu sagen. Seine Hündin Haya und das Katerchen verstehen es auch nicht.

Er ist also zurückgefahren und hat geholfen ein Lazarett zu bestücken, so lange, bis die Apotheken leergeräumt waren. Jetzt rührt er die Werbetrommel für den Parfumeur, den ich bereits erwähnt habe, den ich euch morgen noch etwas näher vorstelle.

Überweisungen dorthin berechtigen übrigens zu einer Stadtführung durch Odessa mit mir höchstselbst, wenn der Krieg vorbei ist und vielleicht gehen wir gemeinsam mit Vitya Brevis zum Karaoke – denn das Leben ist kurz und man muss singen wannimmer es geht.

Fun Fact am Rande: Die deutsche Phrase „Was kostet die Welt?“ lässt sich ins russische wörtlich so übersetzen, dass sie auch heißt „Was kostet der Frieden?“ Uns kostet er nur Geld, die Menschen vor Ort müssen schlimmstenfalls mit Blut bezahlen. Überlegt, was ihr an seiner Stelle gemacht hättet.

 

Werft also ein wenig Zaster in unseren Klingelbeutel: offene Herzen, offene Arme, offene Portmonnaies! Schickt die Bankdaten auch an Freunde weiter, die die Perle am schwarzen Meer noch nie gesehen haben und doch gerne hätten – heute müssen übrigens auch viele Flüchtlinge aus Charkov in Odessa versorgt werden.

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Ich möchte euch ein paar Odessiten vorstellen und wir beginnen mit Royalität – das ist Lapushok. Ich war in den letzten beiden Wochen etwas abwesend, ich bin mit diesem Krieg aufgewacht und mit diesem Krieg eingeschlafen. Fast vier Jahre habe ich in Odessa verbracht und vierzig bin ich gealtert, beim Lesen der Nachrichten, die mir Freunde schicken. Heute ist der erste Tag, an dem ich nicht schon frühmorgens in Tränen ausgebrochen bin. Wenn ich frage, ob sie schlafen, antworten die meisten nicht oder verzögert. Zitternd und chaotisch habe ich angefangen, Kontoinformationen herum zu schicken. Vielen ist es suspekt, direkt in die Ukraine zu überweisen, wenn sie nicht wissen, wer dahinter steht. Dazu in den nächsten Tagen mehr, aber schon eines: Ich stehe dahinter, mit jedem Honorar, das gerade kommt. Warum? Krieg hat – wie ich gelernt habe – zeitliche Abfolgen: Zuallererst, in den ersten Tage und Wochen ist Geld vor Ort die schnellste Hilfe. Solange es etwas zu kaufen gibt, danach, wenn die Apotheken und Märkte leer sind, Privatpersonen nicht mehr helfen können, um der Notversorgung unter die Arme zu greifen werden Infrastrukturen von Organisationen vor Ort ausgereizt, erst wenn diese erschöpft sind, sind die Güter aus dem Ausland von Relevanz. Man wartet jeden Tag auf den Angriff, jeden Tag ist Luftalarm. Für wen tue ich das? Für meine Odessiten, die wenn die Sirenen losheulen Angst haben müssen, ans Fenster zu treten.

 

Das hier ist also Lapushok – der König von Odessa, sagt er zumindest selbst, und der beste Airbnb-Host, den man sich vorstellen kann, zumindest hat mich nie jemand mit solch verliebten Blick geweckt, was vermutlich daran liegt, dass er wollte, dass ich Futter in sein Champagnerglas fülle. Ich müsse gar nicht vor die Tür, sagte er – „füll das Glas nochmal, Cordula! Ich bin ein Kater von Welt, ich erzähle dir alles über die Promenaden zum Meer und die frechen, frechen Vögel und wo das Schaurma wächst!“ Seine Familie ist jetzt in der Türkei, daher regiert er nun von der Nachbarwohnung aus. Der König kann schließlich nicht einfach gehen, auch wenn die Familie nun gebrochenen Herzens ist. Hunderte Regenten seiner Art sind bereits in der Uspenskaya 4 zusammengekommen, um sich zu beraten und auch ihre Kristall– nun, ihre Näpfe, wollen gefüllt werden. Er ist auch ein großer Kunstkenner, insbesondere Gemälde von @Yana Barabash, denn er mag Bilder, die einen tief in einen Traum ziehen. Tiefe ist das, was Yanas Spezialität ist: Manchmal ist das Wasser zu tief. Er ist kein Russe, auch ist er kein Ukrainer, er ist Odessit und Odessa ist Territorium des Mondes, Aliierter des Meeres und Stadtstaat der pragmatischen Träumer. Er empfiehlt dazu Yanas Bilder anzusehen:

 

https://www.instagram.com/barabashyana/

 

https://www.airbnb.at/rooms/26672364?source_impression_id=p3_1646810825_J9fOaS09PkYvKPd0

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